Autismus: Als Lehrkraft auf dem Spektrum

Autismus: Als Lehrkraft auf dem Spektrum

(Title Photo by Peter Burdon via unsplash)

Es regnet. Ich sitze mit einer Tasse Tee am Küchentisch und werde gleich losmüssen. Heute darf ich als Lehrkraft auf dem Spektrum in der Schule einfach machen, worauf ich Lust habe: vorbereiten, planen, meinen Kram sortieren. Es gibt keine Meetings, keinen Smalltalk, kein Chaos. Ich werde mir Kopfhörer aufsetzen, Musik anmachen und in meinem kleinen, überschaubaren Reich sein – einem Raum, der nach meinen Regeln läuft. Genau das brauche ich. Genau das wird gut.

Schulvorbereitung mit Autismus: Die ewige Reizflut und das soziale Kleinklein

Mit dieser Woche beginnen die letzten Tage der Sommerferien. Traditionell finden wir uns in der Schule ein, um das neue Schuljahr vorzubereiten – eine Mischung aus Besprechungen und freier Arbeitszeit. Während die meisten Kolleg:innen langsam wieder ankommen, miteinander schnacken und Ideen sammeln, bedeutet diese Zeit für mich vor allem eines: Reizflut. Soziale Überforderung. Und völlige Erschöpfung am Ende des Tages.

Ich bin eine Lehrkraft auf dem Spektrum. Die Diagnose kam erst nach dem Referendariat – einer Zeit, in der die Bewertungen meiner Arbeit sich im Rückblick wie eine lose Sammlung von Diagnosekriterien gelesen haben.

Was das Leben auf dem Spektrum für mich bedeutet

Autismus ist eine Entwicklungsstörung. Sie kann sich auf viele Arten zeigen, aber bei mir als Lehrkraft bedeutet das vor allem: Ich bin sehr reizoffen. Ich brauche Ruhe – wirkliche Ruhe. Zudem komme ich schlecht mit Unvorhersehbarkeit klar. Spontane Pausenaufsichten, Vertretungen, Raumwechsel – all das wirft mich aus der Bahn.

Und ich verstehe soziale Spielchen nicht. Warum müssen wir im Kollegium ständig Teambuilding betreiben? Weshalb diskutieren wir endlos darüber, ob Kinder etwas selbst ausschneiden oder wir es für sie vorbereiten sollen? Mach’s doch einfach so, wie du denkst. Für mich ist das nichts als Zeit- und Energieraub.

Der Preis des Referendariats

Dass es mir während des Referendariats nicht gut ging, ist fast überflüssig zu erwähnen. Auch die ersten Jahre im Beruf waren für mich als Lehrkraft auf dem Spektrum extrem anstrengend. Ich war an einer Ganztagsschule eingesetzt. Mein Unterricht verteilte sich über den gesamten Tag – sechs Stunden zwischen 8:00 und 16:00 Uhr. In der letzten Doppelstunde hatte niemand mehr Energie. Ich am allerwenigsten. Die Vorbereitung begann oft erst um 16 Uhr.

Donnerstags lag ich dann unter meiner Gewichtsdecke auf dem Sofa, nicht mehr sprechfähig. Heute sieht mein Alltag anders aus. Der Unterricht endet meist um 14:30 Uhr. Niemand vermisst die alten Zeiten.

A stack of books sitting on top of a white couch
Oft der beste Freund im Schulalltag: Die Gewichtsdecke (Photo by Kelly Sikkema via unsplash)

Leben mit niedrigen Energiereserven

Als Lehrkraft auf dem Spektrum zu sein bedeutet für mich, meine Energiereserven immer im Blick zu haben. Sie sind oft niedriger als bei anderen – wie niedrig, das schwankt von Tag zu Tag. Über die Jahre habe ich gelernt, was mir besonders viel Kraft raubt und wie ich mich gezielt schützen kann.

Ich bin jemand, der sehr gute Leistung bringen will. Das Studium fiel mir leicht, die Noten spiegelten das. Umso schwerer war es, mir einzugestehen, dass ich eine Behinderung habe – und ganz gleich, wie viele Superkräfte mir mein Autismus an die Hand gibt, es ist in vielen Bereichen für mich behindernd, autistisch zu sein. Es hat Jahre gedauert, bis ich es akzeptieren konnte. Inzwischen habe ich mit meiner Schulleitung und der Schwerbehindertenvertretung eine Inklusionsvereinbarung getroffen, die meinen Schulalltag tragbar macht.

Inklusion braucht Struktur, nicht Schonung

Dabei geht es nicht darum, weniger zu arbeiten – sondern darum, planbar zu arbeiten. Ich darf remote an Konferenzen teilnehmen. Teambuilding ist freiwillig. Ich arbeite hauptsächlich in meiner Klasse, übernehme keine Vertretungsstunden und keine Pausenaufsichten. Mein Arbeitstag endet spätestens um 18:00 Uhr. Abendliche Veranstaltungen sind ebenfalls freiwillig.

Im Gegenzug übernehme ich administrative Aufgaben und interne Organisation. Das funktioniert gut. Ich bin Teil des Teams. Vollwertig. Und gleichzeitig funktionsfähig.

Der erste Tag nach den Ferien

Trotzdem ist der erste Tag im Kollegium nach den Ferien jedes Jahr eine Herausforderung. Plötzlich sind wieder so viele Menschen da. Überall Geräusche, Gespräche, Stimmen, Gerüche. Jeder will etwas, vieles hat sich verändert. Es kostet wahnsinnig viel Energie, das alles innerlich zu sortieren. Ich lasse es mir nicht anmerken. Die Maske sitzt. Winken und lächeln!

Gestern saßen wir zwei Stunden mit dem gesamten Team zusammen, um den Schuljahresstart zu planen. Für mich war das heftig anstrengend. So viele Redebeiträge, so viele Eigenheiten, Meinungen, Bedürfnisse. Wenn über Themen gesprochen wird, die ich nicht verstehe oder als banal empfinde, stresst mich das massiv. Nach außen sieht man mir das nicht an – aber innerlich schreie ich.

Wenn ich dann auf meine Smartwatch schaue, zeigen die Stresswerte 80. Während des Unterrichts liegen sie bei 40.

Ich kann gut unterrichten. Ich kann gut organisieren. Und ich kann zuverlässig arbeiten. Aber ich muss es auf meine Weise tun.

Heute darf ich das. Heute ist mein Tag. Keine Fragen, keine Stimmen, kein Chaos. Nur ich, meine Struktur, mein Tempo. Ordnung.

Und das funktioniert. Nicht trotz Autismus. Sondern genau deshalb.

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